Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommen ihm Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? … Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht‘s mir wirklich. Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie sich ihren Hammer, Sie Rüpel!“ (Aus: Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein, S. 37 und 38, 20. Auflage 2011, Piper Verlag).

Diese Geschichte ist vermutlich eine der Bekannteren von Paul Watzlawicks zahlreichen Anekdoten über das selbst gemachte Unglücklichsein. Häufig nutzte ich diese Geschichte, um sie in Gruppenseminaren vorzulesen und in unsere konstruierten Alltags- oder Konfliktsituationen einzusteigen. Die meisten von uns schmunzeln, wenn sie die Geschichte hören und erkennen schnell Parallelen zu eigenen Geschichten, die sich im Kopf abspielen, bevor sie zur eigenen Realität werden und das eigene Handeln unbewusst beeinflussen. Was Paul Watzlawick uns nicht ausführlich verrät, ist, weshalb kommt es zu diesen gedanklichen Geschichten und Eskapaden und wie schütze ich mich selbst davor, mich in eine für mich und auch andere destruktive Illusion hineinzusteigern und meine Handlungen aus diesen gedanklichen Geschichten heraus entstehen zu lassen?

Die erste und aus meiner Sicht wichtigste Übung liegt im Wahrnehmen dessen, was im Kopf abgeht. Hirnforscher gehen davon aus, dass wir bis zu 80.000 Gedanken pro Tag haben. Als ich diese Zahl hörte, dachte ich, dass könne doch nicht sein. Als ich jedoch begann, mich mehr und mehr meinen Gedanken zuzuwenden, als Übung zwischendurch am Tag, bemerkte ich, dass ein zahlloses Durcheinander im Kopf vorgeht. Bereits morgens nach dem Aufwachen sind Gedanken einfach da. Und mittlerweile glaube ich diese anfänglich angezweifelte Unmöglichkeit. Mir ist bewusst, dass ich immer noch nur Fragmente dieser Gedanken in die Selbstbeobachtung bringen kann. Und selbst wenn ich mich bewusst auf eine Sache konzentriere und eine Lösung suche, so nehme ich wahr, dass Gedanken kommen und mich leiten, etwas nachzulesen, zu recherchieren oder ich berufe mich auf gemachte Erfahrungen, um Lösungsideen zu finden. Wirklich planen tue ich vermutlich keinen einzigen meiner Gedankengänge. In Achtsamkeits- oder Yogakursen ist häufig zu hören: Gedanken kommen und gehen, so wie die Wolken am Himmel. Nimm sie wahr und lass sie ziehen. Erst als ich anfing, dieses Schauspiel bei mir selbst bewusst zu beobachten und wahrzunehmen, verstand ich diese einfachen Botschaften, die ich jahrelang regelmäßig hörte. An manchen Gedanken und Geschichten bleiben wir förmlich kleben und diese Gedanken und Geschichten steuern unser Verhalten und unsere Emotionen. Viele dieser gedanklichen Geschichten laufen unbewusst ab. Dieser unbewusste Anteil steuert uns dabei häufig ins Morgen oder ins Gestern und selten in den Moment hinein. Wir glauben, dass wir bewusst handeln und entscheiden.

Ich erwähne gerne ein Zitat von Byron Katie an dieser Stelle: Du denkst nicht, du wirst gedacht!  Wir folgen diesen Gedanken und wir identifizieren uns so gerne mit ihnen. Wir folgen der Energie der Gedanken und diese kann unterschiedlich ausgeprägt sein: aufgeladen, negativ und eher dysfunktional, gar zerstörerisch oder aufbauend, kreierend, freudig und nach Lösungen suchend oder auch neutral. Wir richten diese Energien auf uns und andere und verteilen sie, ohne uns unserer Verantwortung beim Verteilen anderen oder uns selbst gegenüber bewusst zu sein. Gleichzeitig wünschen wir uns, dass die Außenwelt immer höflich, friedlich, respektvoll und freundlich ist. Wir folgen unseren Gedanken mit dem, was wir Wissen oder zu wissen glauben über uns, die Welt, die anderen, wie sie denn wirklich sind. Wir erschaffen mit ihnen Merkmale der Abgrenzung und Zugehörigkeit sowie unsere eigene Identität. 

In diesem Buch beginnen wir gemeinsam mit der Spurensuche nach unseren gedanklichen Geschichten und Identitäten.

Köln, 12. Oktober 2022

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