Ein neuer Blick auf Reise-Zeit

Kürzlich bin ich mit dem Zug von Split nach Köln gereist. Es war eine bewusste Entscheidung, diese bestehende Verbindung zu testen. Ein Experiment. Denn bisher bin ich direkt geflogen oder wir sind mit dem Auto gefahren.

Meine Reisezeit für die Strecke Split – Köln (via Zagreb und München) mit dem Zug betrug rund 30 Stunden, mit einer bewusst eingeplanten Unterbrechung von fünf Stunden in Zagreb, um langjährige Freunde der Familie zu besuchen.

Sind 30 Stunden lang oder kurz?
Lässt man die Bewertung weg, sind 30 Stunden eben 30 Stunden.

Von Thomas, meinem Lebensbegleiter habe ich für mich vor Jahren gelernt, dass eine Urlaubsreise in dem Moment beginnt, wenn wir Zuhause die Haustür schließen und nicht erst nach Ankunft am Zielort. Letzteres ist das allgemein gültige Verständnis, oft verbunden mit Packstress, Ärger bei Staus, Verspätungen und Gedanken über das Morgen. Wir reisen meist einer imaginären Zukunft am Zielort hinterher, bevor es überhaupt losgeht. Mit Thomas‘ Haltung ist es anders: ein achtsames Reisen. Vergleiche ich nun die Reisezeit mit anderen Verkehrsmitteln, so ist die obige Zeit – von Tür zu Tür – ungefähr doppelt so lang wie mit dem Auto oder rund fünf Mal so lang wie mit dem Flugzeug, eine Planmäßigkeit unterstellt.

Was habe ich durch diese Reise gewonnen?
Was habe ich durch diese Reise verloren?
Zeit?
Wirklich?

Im Vergleich bin ich langsamer gereist und habe einiges Neues entdeckt. Es war wie eine Zeitreise auf der ersten Verbindung von Split nach Zagreb. Die Zwischenhalte in kleinen Dörfern erschienen wie aus einer anderen Zeit. Die Unterschiede im Landschaftsbild auf einer rund 400 km langen Strecke waren wunderbar: vom Meer über bergige, karstige Gegenden bis hin zu dichten Wäldern und Flüssen durch kaum besiedelte Teile des Landes. Aus dem langsam fahrenden Zug konnte ich alles beobachten und war begeistert von der Vielfalt.

Der Zug mit Neigetechnik ist vergleichbar mit einem Regionalzug. Für Verpflegung muss man selbst sorgen, Toiletten sind im Zug, die Fahrt ist ruckelig, die Komfortstufe „Basic“, im Vergleich zu Deutschland, nicht Indien. Die ruckelige Fahrt lässt schnell auf eine sehr veraltete Infrastruktur schließen, was mir vor Reiseantritt durchaus bewusst war.

In Zagreb angekommen, erfreute ich mich direkt im Zentrum der Stadt an der wunderschönen Architektur vieler Gebäude. Die Großstadt mit Taxis, Autos, Straßenbahnen und Lebendigkeit begrüßte mich. Nach meinem Besuch bei lieben Menschen, die ich ewig nicht mehr gesehen hatte, fuhr ich gut gesättigt – das versteht sich von selbst in diesem Land – zum Bahnhof.
Abends folgte nun die gut neunstündige Fahrt mit dem Nachtzug in Richtung München. Als ich den Zug sah, dachte ich kurz: Oh ein kleines „Züglein“, drei Waggons, das war‘s.

Ich bezog also meinen Schlafwagen. Ich gönnte mir den „Luxus“ für ein Einzelabteil und war recht froh über meine Wahl. Nach der ersten Grenzkontrolle in Slowenien gesellte ich mich am so genannten Tresen dem Schaffner und wir unterhielten uns eine Weile. Der Tresen im Zug war ein Mini-Tresen, dahinter ein kleiner Kühlschrank mit Getränken gefüllt, alles auf ca. 1qm Fläche.
Ein repräsentatives Reisebistro für eine neun-stündige Fahrt, dachte ich und schmunzelte. Man verstand das eigene Wort zum Teil kaum, weil das Quietschen und Rauschen auf den (weiterhin alten) Gleisen seine Lautstärke entwickelte.

Bald entschied ich mich für meine Nachtruhe. Wie sollte ich bei dem Lärm nur schlafen? Lass diese Gedanken doch einfach sein und leg dich hin, sagte ich mir. Ich schlief irgendwann tatsächlich ein und hörte erst früh morgens Schritte im Waggon. Ein energisches Klopfen an meiner Tür, die Bundespolizei machte ihren derzeitigen Job am Hauptbahnhof in Salzburg: Ausweiskontrolle. Der Polizist wünschte mir weiterhin eine gute Nachtruhe und tatsächlich schlief ich bis kurz nach fünf Uhr. Bald gibt’s ja Frühstück, also machte ich mich parat. Um kurz vor halb sieben sollten wir auch in München sein. Das Frühstück wurde von dem freundlichen Schaffner serviert. Ein ungesundes lang haltbares verpacktes Schokohörnchen sowie so eine Art Hamburger-Brötchen, Butter und Marmelade, ein Tee und Orangensaft. Ok, es ist wie es ist. Lecker ist anders. Die Fahrt ging zu Ende, der Schaffner sagte zu mir, ich solle doch wieder mit dem Zug fahren und wiederkommen. Ok, ich schaue mal. Dankeschön und Tschüss.

Der ICE nach Köln fuhr bald, ich fand einen Platz und freute mich. Denn in guten vier Stunden sollte ich Zuhause ankommen. Im ICE stufte ich die Komfortstufe in der 2. Klasse im Vergleich bereits auf Luxus ein. Ich holte mir einen Milchkaffee im Bistro und mir fiel direkt auf, dass bei einer rasenden Geschwindigkeit die Geräusche hier kaum hörbar waren. Das war mir bisher nicht bewusst gewesen, denn es war ja „normal“ für mich. Die so schönen Landschaften von Bayern bis nach Nordrhein-Westfalen flogen an mir vorbei. Ich genoss nun die Schnelligkeit. Ich reiste – obwohl so nah beieinander – in zwei sehr verschiedenen Welten.

Habe ich nun Zeit verloren oder gewonnen? Die Eindrücke waren so vielfältig, die 30 Stunden verflogen. Die ganze Rückreise mit dem Zug fühlte sich an wie eine eigene Reise. Ganz anders. Alles hat funktioniert, eben mit allen wahrgenommenen Unterschieden. Entschleunigung, Einfachheit und Vielfalt versus Schnelligkeit, Bequemlichkeit und Pragmatismus.
Ab nun habe ich eine weitere Wahl.

Köln, September 2019

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